Belüften oder dekantieren…
Belüftet werden können sowohl Rot- als auch Weißweine. Gleiches gilt auch für das Dekantieren. Was da passiert und warum man das macht, oder manchmal besser lassen sollte, will ich hier erklären. Denn so wie ein Wein vom Lagern nicht grundsätzlich besser wird, ist auch das Belüften - oder eben karaffieren - kein Allheilmittel. Bringt ein Wein gewisse Voraussetzungen nicht mit, wird eine Karaffe diese auch nicht irgendwo herzaubern.
von Alex Schilling (derweinblog.de)
©Sophie Sedlmeier
Klären wir doch erstmal ein paar Begriffe: Karaffieren sollte man nicht mit dekantieren verwechseln. Das sind zwei völlig verschiedene Schritte, für die verschiedene Gefäße zum Einsatz kommen. Man unterscheidet zwischen dem Dekanter und der Karaffe.
Ein Dekanter unterscheidet sich von einer Karaffe dadurch, dass er dem eingeschütteten Wein eine möglichst kleine Fläche bietet. Das vermindert die Reaktion mit dem Luftsauerstoff. Ältere Weine können bei zu viel Luft recht schnell umkippen; sie oxydieren. Ein Dekanter dient einzig der Trennung des Weines vom so genannten Depot, dazu gleich mehr.
Die Karaffe bietet dem Wein hingegen eine möglichst große Oberfläche, damit dieser mit dem Luftsauerstoff reagieren kann. Das macht man vor allem bei eher jüngeren Weinen, die ihren optimalen Reifepunkt noch nicht erreicht haben.
Wie wir Wein dekantieren
Beim Dekantieren trennen wir den Wein vom so genannten Bodensatz. Diese im Weinjargon als Depot bezeichnete Masse tritt vor allem bei reiferen Rotweinen auf und besteht aus Zerfallsprodukten der im Wein befindlichen Farb- und Gerbstoffe. Auch Weinstein kann in dieser Masse vorhanden sein, dieser fällt besonders im Weißwein auf.
Dafür nimmt man die vorher über längere Zeit senkrecht gestellte Flasche - dann kann sich das Depot am Boden mittels Schwerkraft schon mal ablagern - und schüttet diese vorsichtig in den dafür vorgesehenen Dekanter. Wichtig ist, dass der Bodensatz nicht aufgewirbelt wird und in der Flasche bleibt. Dafür behält man eine Restmenge Wein in der Flasche zurück. Hilfreich ist es mittels einer Lichtquelle, traditionell einer Kerze, das Depot in der Flasche zu beobachten und beim Dekantieren die Flasche leicht um ihre Hochachse zu drehen. Im besten Fall bleibt so einiges vom Bodensatz an der Flaschenwand haften.
Wer mag, kann sich dafür auch eine Dekantiermaschine zulegen. In dieser wird die Flasche mittels eine von Hand zu bedienenden Mechanik behutsam gekippt; funktioniert einwandfrei, ist aber teuer!
Wie wir Wein belüften
Das Karaffieren dient vor allem der Entfaltung jüngerer Weine, sie sollen atmen. Wer nun die Weinflasche kopfüber mit Schwung in die Karaffe sprudeln lässt, macht zwar alles richtig, wird am Tisch aber meist für große Augen sorgen. Derartigen Momenten kann man entweder mit Fachwissen begegnen, oder aber man stellt sich auf sein Publikum ein und lässt es ruhiger angehen.
Egal wie nun der Wein in die Karaffe gekommen ist, eine gewisse Zeit sollte man den Wein nun stehen lassen. In dieser Zeit können sich zuvor verschlossene und flach wirkende Weine öffnen. Sie werden harmonischer, komplexer und selbst die Gerbstoffqualität wird sich ändern.
©Sophie Sedlmeier
Preislich kann man Karaffen schon für 10€ erwerben, nach oben gibt´s je nach Material kaum Grenzen. Bleikristall ist qualitativ gesehen völlig irrelevant. Allerdings sollte man vorher klären, ob man eine volle Karaffe mit 5 Kilo Gewicht galant über Weingläsern schweben lassen kann, oder diese damit eher zertrümmert. Die Dinger sauber zu machen ist grundsätzlich umständlich, bloß nicht stehen und eintrocknen lassen!
In der Handhabung sind nicht alle angebotenen Formen funktional, je breiter eine Karaffe ist, desto alberner sieht der Anwender beim Einschenken des letzten Glases aus. Karaffen sollten eine Flasche Wein - also mindestens o,75 Liter Flüssigkeit - aufnehmen können und in etwa einen Durchmesser von 25cm haben.
Alles nur Ritual?
Sinn und Zweck eines Dekanters sprechen für sich, hier ist sich die Fachwelt einig. Die Anwendung der Karaffe hingegen ist ein mögliches Mittel dem Alter eines Weines entgegenzukommen, aber kein Garant für irgendwas. Dem Wein, vor allem Rotwein, seine Zeit zu geben, ist der bessere Weg! Sei es Barolo, Barbaresco oder guter Saint-Émilion; sie brauchen mindestens 10 Jahre, auch wenn das Angebot in den Supermärkten was anderes behauptet.
Es gibt durchaus Diskussionen, ob die Karaffe letztlich eher dem Ritual am Tisch, als dem Wein und dessen Entfaltung an sich dient.
Amerikanische und englische Forscher haben laut dem Brockhaus Wein herausgefunden, dass das Karaffieren auf den Ausdruck des Weines keinen Einfluss hätte. Mir bleibt da nur der subjektive Widerspruch:
Es ist kein seltenes Phänomen, dass sich vor allem junge Weine bereits im Glas - quasi kleine Karaffe - mit der Zeit spürbar verändern. Weinschreiber bezeichnen das dann gerne als „Vitalität im Glas“. Es macht enormen Spaß, dieser Entwicklung zu folgen.
Einen sehr reifen Rotwein z.B. Bordeaux aus den frühen 1980er Jahren aber über Stunden, oder gar die Nacht in der Karaffe vor sich hinatmen zu lassen bringt meistens nichts. Schon wegen des drohenden finanziellen Ruins würde ich solche Experimente nicht wagen. Das klingt vielleicht blöd, aber je älter der Wein, desto schneller ist er tot. Schnell trinken!
Grundsätzlich beobachte ich, dass Rotweine zu häufig karaffiert werden, hier regiert das Zeremoniell wider besseres Wissen; Weißwein hingegen landet viel zu selten in der Karaffe. Auch besteht der Irrglaube, dass gerade Altweine karaffiert werden müssten. Das ist falsch. Je älter der Wein, desto eher sollte man von der Karaffe die Finger lassen und den Dekanter auch als Ausschankgefäß verwenden.
Leider gibt es immer wieder Vertreter des Handels, die zum einen mit den Begriffen dekantieren und karaffieren frei jonglieren und zum eigentlichen Ärgernis der Kunden das karaffieren nur empfehlen, um ihre Weine als besonders hochwertig erscheinen zu lassen. Schade!
Wie immer gilt: Ausprobieren, selbst bewerten, bloß nix aufschwatzen lassen. Keine weiteren Experimente wenn was schmeckt!