Weinkolumne von Axel Biesler: NACH GUSTO UND LAGE


Der Mensch-Tier-Vergleich soll Ähnlichkeiten und Unähnlichkeiten zwischen den jeweiligen Spezies zutage fördern. Dabei sind in der Vergangenheit etliche haarsträubende Vergleiche entstanden.

VON AXEL BIESLER

Die Geschichte mit dem Storch und den Kindern ist vergleichsweise harmlos. Geradewegs invasiv hat sich aber das Gerücht verbreitet, dass Chamäleons ihre Färbung quasi nach Gutdünken und der jeweiligen Situation entsprechend verändern würden. Als astreiner opportunistischer Populist steht das selten gewordene Reptil heute da. Wie konnte es bloß soweit kommen? Hat denn in unserer Weltgemeinde noch niemand in »Brehms Tierleben« gestöbert? In seinem wenigstens weltberühmten Nachschlagewerk hat sich der Zoologe und Schriftsteller Alfred Edmund Brehm schon vor fast 200 Jahren an Ort und Stelle in Afrika ein prosaisches Bild von diesem Tier gemacht. An einer Stelle heißt es: »Von dem Farbwechsel der Haut macht man sich gewöhnlich eine falsche Vorstellung. Man glaubt, dass das Tier plötzlich die verschiedensten Schattierungen und Abstufungen aller nur denkbaren Farben annehmen könne. All dies ist mehr oder weniger unrichtig.«

Wie stets liegen die Unterschiede im Auge des Betrachters

Neuere Studien belegen Brehms Beobachtungen, nachdem es mitnichten die Umgebung ist, an die sich ein Chamäleon farblich anpasst, sondern im Gegenteil das Tier allein entscheidet, welche Farbe ihm gerade genehm ist. Ist es gechillt, schillert es grün. Geht ihm etwas gegen den Strich, leuchtet es durchaus auch mal Orange. Bei allzu aggressiver Hitze legt es sich ein kühlendes Gewand an. Wie stets liegen die Unterschiede im Auge des Betrachters beziehungsweise im Wesen des individuellen Chamäleons. Denn auch Reptilien haben ihre Marotten. Warum sich dieser Anthropomorphismus vom Chamäleon als schleimig-schlauer Anpasser so hartnäckig in unserer Sprache hält, ist auch deshalb schleierhaft, weil dieses einzigartige Tier doch noch ganz andere Einzigartigkeiten in petto hat.

Vom Chamäleon könnte der Mensch viel lernen

Etwa seine schier grenzenlose Geduld, die es aufzubringen imstande ist, um eine sorgsam selektionierte Fliege schließlich mit der Zunge zu filetieren. Oder das ruckweise und unabhängige Drehen der Augen. Ein Chamäleon ist bedächtig und hat seine Augen überall. Wo nötig, passt es sich an und schlägt mit scharfer Zunge erst dann zu, wenn die Chancen auf Erfolg nicht viel weniger als 100 Prozent betragen. Ziemlich smart. Vom Chamäleon könnte der Mensch viel lernen. Aber der ist meistens einfach zu doof dafür. Nachdem wir das ein für alle Mal geklärt haben, geht’s nun endlich um Wein, der heißt natürlich »Chamäleon« und kommt aus Südafrika. Aus Stellenbosch, um genauer zu sein. Von dort, wo das Reptil noch augenrollend und geruhsam auf seine Beute warten darf, wenn es nicht von Autos überfahren oder sein Lebensraum anderweitig von Menschenhand zerstört wird. Mit einem Teil des Erlöses ihres gleichnamigen Weins unterstützen Kathy und Gary Jordan bereits seit vielen Jahren Schutz und Forschung des Chamäleons.

Die Chamäleon-Linie gehört zu den erfolgreichsten der Jordan Winery

Der doofe Mensch sollte sich also nicht in die Irre führen lassen, wenn er meint, die Weine der Chameleon-Serie seien so etwas wie ein Zu-Jeder-Gelegenheit-Trunk, also einfache Tischweine für alle Tage. Wenn sie es aber doch sind, entscheidet darüber nicht der Wein, sondern sein Zecher. Und zwar genauso wie das Chamäleon: je nach Gusto und Lage. Die Chamäleon-Linie gehört zu den erfolgreichsten der Jordan Winery. Zu Gunsten des Reptils und zur Freude des Zechers.

Neuerdings ergänzen zwei ungeschwefelte Rotweine das Portfolio der Jordan Winery, dessen unangefochtener Bestseller aber bis auf weiteres eine Cuvée aus Cabernet und Merlot bleibt. Warum das so ist, lässt sich mit wenigen Worten beschreiben. Dunkle Beerenfrucht lautet ihre aromatische Überschrift, der eine überaus saftige wie angenehm würzige Geschmacksgeschichte folgt. Also doch ein Wein für alle Tage? Die Antwort steckt in der Frage. Es kommt auf den Tag an – und auf den Menschen, der ihn trinkt. Kathy und Gary Jordan sind so etwas wie Premium-Quereinsteiger. Sie ist studierte Ökonomin, er studierter Geologe. Bevor sie sich dazu entschlossen, voll und ganz auf die Wein-Karte zu setzten, besorgten sie sich das nötige Wissen um Weinbau und Önologie an der renommierten University of California Davis. 

Geologe und Ökonomin: Gary und Kathy Jordan

Beide lieben Pinot Noir aus dem Burgund, sind aber realistisch genug, der empfindlichen Sorte in ihren Breitengraden kein ausreichendes Potenzial für große Weine zuzutrauen. Die Jordans setzen auf Chardonnay, Chenin Blanc, Cabernet, Merlot und Syrah. Allesamt Sorten, die mit einem trockenen und heißen Klima gut zurechtkommen. »Im nächsten Leben«, hat Gary Jordan einmal in einem Interview gesagt, »kommen wir mit dem Weingut Jordan ins Burgund zurück.« Und das könnte freilich noch eine Weile dauern. 

In der sogenannten Neuen Weinwelt hat sich mittlerweile auch eine Alte Schule etabliert

Derweil erzeugt die Jordan Winery keine europäischen Plagiate, sondern Weine, die ihre Heimat Stellenbosch beherzt widerspiegeln. Dabei scheren sich die Jordans wenig um aromatische Trends. Während ihr »Unoaked« Chardonnay wunderbar saftig und eingängig über den Gaumen fließt, besitzt der »Barrel Fermented« aus gleicher Sorte jene Art süßer Vanillewürze, die unter Weinfreaks mittlerweile gerne als altmodisch beschrieben wird. Sollen sie doch. In der sogenannten Neuen Weinwelt hat sich mittlerweile auch eine Alte Schule etabliert. Kathy und Gary Jordan gehören zu ihren Anhängern. 

In ihren Anfängen, vor rund 30 Jahren, haben sie rund 70.000 Flaschen Wein verkauft. Heute sind es etwa 780.000. Ob der Erfolg ihnen recht gibt, ist leichter dahingesagt als tatsächlich der Fall. Vielleicht ist es diese Beharrlichkeit, die den Jordans ihren Erfolg und ihre weltweite Angesehenheit eingebracht haben. Wozu ein letzter Auszug zum Chamäleon aus »Brehms Tierleben« und zum Schluss gut passt: » (…) und erst wenn besondere Umstände eintreten, verändern sie nicht bloß ihre Stellung, sondern auch ihre Plätze.«

Hier gehts zu den Weinen von Jordan.

Fotos: Pixabay, Jordan Winery